Ein musikalisches Meisterwerk von den Anfängen bis zu Adam und Eva (Foto: privat)(bro) (khm) Haydns Oratorium "Die Schöpfung" fand am Sonntag, 26. Oktober, in der Kirche St. Johannes Nepomuk in Eberbach statt. Mitwirkende waren die Katholische Kantorei St. Johannes Nepomuk und das Canor Ensemble Heidelberg. Als Solisten traten Marie Christine Köberlein (Sopran), Sebastian Hübner (Tenor) und Lorenz Miehlich (Bass) auf. An der Orgel spielte Birgit Weidenhammer, am Cembalo Jeanette Chao. Die Gesamtleitung lag bei Bezirkskantor Mario Peters.
Am Mittwoch, 15. Oktober, fand dazu – wie in Eberbach inzwischen Tradition – ein gehaltvoller und zugleich humorvoller Einführungsvortrag des Freiburger Liturgieprofessors Meinrad Walter statt.
Als Einstimmung auf das Thema bietet sich ein Blick in den Anfang von Arthur Schnitzlers berühmter Erzählung „Leutnant Gustl“ (1910) an, die von einem Oratorienbesuch handelt.
„Wie lange wird denn das noch dauern? Ich muss auf die Uhr schauen ... schickt sich wahrscheinlich nicht in einem so ernsten Konzert. Aber wer sieht´s denn? Wenn’s einer sieht, so passt er gerade so wenig auf wie ich, und vor dem brauch’ ich mich nicht zu genieren ... Erst viertel auf zehn ... Mir kommt vor, ich sitz’ schon drei Stunden in dem Konzert. Ich bin’s halt nicht gewohnt ... Was ist es denn eigentlich? Ich muss das Programm anschauen ... Ja, richtig Oratorium? Ich hab’ gemeint: Messe. Solche Sachen gehören doch nur in die Kirche. Die Kirche hat auch das Gute, dass man jeden Augenblick fortgehen kann. – Wenn ich wenigstens einen Ecksitz hätt’! – Also Geduld, Geduld! Auch Oratorien nehmen ein End’! Vielleicht ist es sehr schön, und ich bin nur nicht in der Laune...“
An Haydns Schöpfungsoratorium kann der Wiener Schnitzler aber wohl sicher nicht gedacht haben, wenn er überhaupt an ein bestimmtes bei seiner Novellenverfassung dachte.
In den Jahren 1795 - 98 beschäftigte sich Haydn, der damals schon im 66. Lebensjahr stand, auf Anregung seiner Freunde hin und im Hinblick auch auf Händels Oratoriumsschaffen mit der Komposition eines Oratoriums, nämlich der Schöpfung. Es geschah nach einer englischen Vorlage, die indes verloren blieb, und er hatte bereits zwei Oratorien komponiert: Il ritorno di Tobia – Die Heimkehr des Tobias und Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (Vokalfassung). Haydn schrieb noch ein viertes und hochgeschätztes Oratorium: Die Jahreszeiten.
Sein Freund und Gönner Baron Gottfried van Swieten übersetzte den Text und richtete ihn für die Komposition her. Die Einfälle und große Bildhaftigkeit des Textes inspirierten Haydn offensichtlich besonders. So arbeitete er drei Jahre an der Schöpfung, um ein Werk zu schaffen, das – geradezu volkstümlich geworden – bis auf den heutigen Tag von kleineren wie großen Chören mit Eifer einstudiert und gesungen wird. Im Jahr 1798 hatte es in Wien eine erste private Aufführung und 1799 die erste öffentliche gegeben.
Interessant dazu ist vielleicht auch noch die Platzierung der Mitwirkenden damals: Vor den Instrumentalisten (Orchester) saĂźen die Choristen (Chor) und die drei Vokalsolisten, die sich jeweils zu ihren Auftritten erhoben. Es sollte so auch guter Kontakt zwischen allen Singenden gegeben sein, da Solisten und Choristen nicht getrennt seien.
Das Werk gliedert sich in drei Teile, in denen die biblischen Schöpfungsgeschichten zu sieben Tagen (Genesis aus dem ersten der fünf Bücher Mosis (Pentateuch) 1,1 - 31) in freier Form von den drei Erzengeln Gabriel (Sopran), Uriel (Tenor) und Raphael (Bass) vorgetragen werden, stellenweise auch vom Chor, den man wohl dann als „Engelschor“ sich vorzustellen hatte, da „Menschen“ ja noch nicht geschaffen waren und so hier noch gar nicht singen konnten. Gegen Ende des zweiten Teils erst tritt der Mensch auf, und der dritte erzählt vom Glück der ersten Menschen „Adam und Eva im Paradiese“.
Beim Hören des ersten Teils ist empfohlen worden, besonders auf Haydns vielgerühmte instrumentale Orchestereinleitung zu achten, die mit Vorstellung des Chaos überschrieben ist, also wie es vor der Schöpfung in der Welt war und wovon es nur den Eindruck geben konnte, es gebe noch gar nichts oder vielleicht nur Ungeordnetes, ins Düstere Versunkenes, das von kühnen harmonischen Wendungen und starken dynamischen Gegensätzen geprägt ist.
Hier war der Komponist Haydn besonders gefordert und schaffte, was ein kompositorisches Wunder genannt wurde, da er eine abstrakte Vorstellung (Chaos) in eine musikalische Form übersetzen wollte. Der Rezensent einer Berliner Aufführung von 1801 empfand das Haydn’sche Chaos so: „Ein ungeheurer Unisonus aller Instrumente, gleich einem licht- und formlosen Klumpen, stellt sich der Imagination (hörenden Einbildungskraft) dar“. Andere setzten fort: „Aus ihm gehen einzelne Töne hervor, die neue bilden. Es entspinnen sich Formen und Figuren. Es geht noch um ungeordnete Elemente, die noch keine Melodie hervorbringen, aber allmählich das melodische Element.“
Die Eberbacher Wiedergabe (Ausführung der Haydn’schen Partiturangaben) war da sicher angemessen und vermittelte diesen „Chaos-Sound“.
Der erste Teil (Schöpfungstage 1 – 3) mit erzählerischen Rezitativen, kommentierenden Arien und Chören führte vor die Scheidungen von Himmel und Erde, Wasser und Land, Sturm, Blitz, Donner und die Schaffung der Pflanzenwelt (Flora), was alles mit viel musikalischer Lautmalerei ausgestattet war. Zwei Arien (Nr. 6 und 8) seien erwähnt:
In der Arie (Raphael) „Rollend in schäumenden Wellen bewegt sich ungestüm das Meer“ (6) wurde durch fallende Sechzehntelreihen der Eindruck von kräftiger Wellenbewegung erzeugt. Beim erwähnten „Bach“ dagegen machte eine ruhige Bewegung ein „leise rauschend“ deutlich.
Die Arie (Gabriel) „Nun beut (bietet) die Flur das frische Grün dem Auge zur Ergötzung dar“ (8), eine bezaubernde Da-Capo-Arie mit Koloraturen, hörte man besonders gern. Auf diese pastorale Idylle mit Holzbläserinstrumentierung dazu wurden viele gewartet und für sie der Sängerin gern applaudiert.
Auf die Ankündigung von Sonnen-, Mond- und Sterneauftritt durch Uriel (Rezitativ Nr. 11 – 12) hin war dann zu bewundern der berühmte Schlusschor mit Soli des ersten Teils: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und seiner Hände Werk zeigt an das Firmament“ (Nr. 13). Seine kunstvolle Struktur wurde dabei sehr deutlich: schlichte Melodie, zweimal unterbrochen vom Erzengel-Terzett und mit kurzer Fuge am Schluss.
Der zweite Teil (Schöpfungstage 4 – 6) schilderte die Erschaffung der lebenden Geschöpfe, der Tiere und des Menschen. Es waren mit fünfzehn an Zahl mehr, als in der Bibel genannt werden. Nicht umsonst lässt Haydn daher in Rezitativ 17 die Erzengel sagen: „Wieviel sind deiner Werk’, o Gott! Wer fasset ihre Zahl?“
Haydn führte dabei seine ganze Kunst der „lautmalerischen Vertonung“ vor. Wir bewundern sie heute. Damals gab es aber auch Stimmen dagegen: Haydn setze eigentlich nur zu malende oder gemalte Abbilder und Szenen in Musik um, also die Natur, das Licht, die Stürme, Blitz und Donner, den flockigen Schnee oder die schäumenden Wellen genauso wie die verschiedenen Tiere mit musikalischen Mitteln um, d. h. in Musik. Dabei erscheine zuerst in der Musik, was dann von den Erzengeln beschrieben werde. Wir hörten zuerst die rollenden Donner, die fliegenden Wolken, den allerquickenden Regen, bevor sie genannt würden.
Herders Kritik war, Musik solle sich nicht bei Gegenständen malend aufhalten, sondern Empfinden aussprechen. Er hielt sie offensichtlich nicht dazu befähigt. In der sogenannten Vogelarie (Nr. 15) des Gabriel „Auf starkem Fittich schwinget sich der Adler stolz“ z. B. führte er mit charakteristischen Tonmalereien zuerst den majestätischen Adlerflug, dann die zierlichere Lerche, den Liebesvogel Taube und die klangvolle Nachtigall vor.
Im Rezitativ Nr. 21 (Raphael) „Gleich öffnet sich der Erd Schoß“ erlebte man, lautmalerisch ausdrucksvoll durch charakteristische Motive angedeutet, das freudige Brüllen des Löwen, den „emporschießenden“ Tiger, Hirsche (mit Jagdmusikmotiven) und Pferde, Rinder und sanfte Schafe, kriechendes Gewürm, das Heer der Insekten und schließlich die „Krone des Lebens, den Menschen: Mann und Frau“.
In Arie 24 (Uriel) wurde der Mensch ausführlich besungen: „Mit Würd’ und Hoheit angetan, mit Schönheit, Stärk’ und Mut begabt... Ein Mann und König der Natur... Für ihn aus ihm geformt die Gattin hold und anmutsvoll.“
Der Chor/das Danklied „Vollendet ist das große Werk. Der Schöpfer sieht’s und freuet sich. Auch unsre Freud’ erschalle laut!“, dazu das Erzengel-Terzett „Zu dir, o Herr, blickt alles auf“, wurden am Schluss nochmals zu einer weiteren kunstvollen Doppelfuge zusammengefasst und gekonnt ausgeführt.
Der dritte Teil – ganz ohne Bibelstellen – schilderte den siebten Schöpfungstag, das erste Auftreten des erschaffenen Menschenpaares „Adam und Eva“ mit Orchestereinleitung, Rezitativ und Choreinschüben.
In ihrem Lobgesang „Duett mit Chor“ (Nr. 30) loben beide in sehr anspruchsvollem musikalischem Werkteil das Geschaffene und Gott als den Schöpfer. Sie fordern ihre Umgebung auf, es ebenso zu tun.
Es folgte das ausführliche und eindrucksvoll gesungene Liebesduett des Paares (Nr. 32): „Holde Gattin dir zur Seite fließen sanft die Stunden hin... Teurer Gatte, dir zur Seite schwimmt in Freuden mir das Herz ...“.
Das Frauenbild der Schöpfung ist verständlicherweise zeitgebunden und textlich für heute wohl befremdlich, wobei die Texte dazu immer musikalisch bewundernswert begleitet sind. So ist Evas Text in ihrem Rezitativteil (Nr. 31): „Dein Will’ ist mir Gesetz. So hat’s der Herr bestimmt. Und dir gehorchen bringt mir Freude, Glück und Ruhm“, was allerdings im vorliegenden Textheft (III. Teil) wohl als anstößig von feministischer Hand bereits getilgt wurde. In der damaligen Zeit genoss das von Haydn vertretene Frauenbild höchste Anerkennung, und auch heutige Zuhörer dürften ihm Achtung und Verständnis nicht entziehen.
Auffällt auch, dass der Sündenfall (Moses 1,3, 1– 16) nicht ausführlich im Oratorium vorkommt, aber auch – in seiner Endstellung – nicht unterschlagen ist und als mögliche Bedrohung menschlichen Glücks angedeutet wird, im Rezitativ des Uriel (Nr. 33): „O glücklich Paar und glücklich immerfort, wenn falscher Wahn euch nicht verführt, noch mehr zu wünschen, als ihr habt, und mehr zu wissen, als ihr sollt.“
Grund für die biblische Sündenfallszene war und ist sicher für Christen der Glaube, die Existenz des Bösen in der Welt erklärlich zu machen und Eindämmungsmöglichkeiten aufzuzeigen, während die Vertreter damaliger „Aufklärung“ und die „undogmatisch Religiösen“ (Sapere aude – Kant (n. Horaz) / „Hier sei die Welt auf den Kopf (Verstand) gestellt“ – Hegel) meinten und hofften, dass die Schöpfungsideale Realität bleiben könnten und nicht gleich infrage gestellt werden dürften.
Zu allem bildete dann der grandiose Schlusschor mit Soli: „Singet dem Herrn alle Stimmen... Des Herren Ruhm, er bleibt in Ewigkeit! Amen!“, das eindrucksvoll gelingende Finale, bei dem das Terzett durch hinzutretende Choristin zum Quartett geworden war.
Es bleibt vielleicht noch die Frage, ob der „Optimismus der Schöpfung“ uns heute und weiterhin eine Lebenshilfe sein könne – überraschend vielleicht heute gerade wieder, um aufzurufen, dass man den Wert der Schöpfung erkennen und diese zu bewahren sich bemühen möge.
Dass nach eineinhalb Stunden musikalischer Hochleistung und großem Ergötzen die Kenner wie Ersthörer bewundernd und begeistert den Dirigenten, die Solisten, den Chor und das Orchester mit Beifall überschütteten und mit Blumen und Geschenken als Dank nicht sparten, war verdient und vorauszusehen gewesen.
28.10.25 © 2025 www.EBERBACH-CHANNEL.de / OMANO.de |